Digital auf die Pelle gerückt.

Eine erste Bilanz aus unserem Engagement gegen das Rauschen und Knacken in der Leitung.

Für uns alle war sehr schnell klar, dass eine Zeit angebrochen ist, in der wir unsere Erfahrungen weitergeben und Menschen technisch unterstützen müssen. Denn für uns als Kollektiv + Netzwerk ist das „Sozial Distancing“ schon immer selbst gewählt und erprobt. Dabei haben wir viele frustrierende Erfahrungen mit Tools und technischen Abgründen gemacht und sind auch unserem Anspruch FOSS-Software selbst oder von Freund*innen gehostet zu nutzen, nicht immer komplett treu geblieben.

Im Gegensatz zu Projekten wie Systemli sind wir kein Community-Hoster, sondern sowas wie ein „IT-Dienstleister“ hüstl. Zum einen betreiben wir normalerweise keine Dienste für eine breitere Öffentlichkeit, sondern unterstützen Netzwerke, Firmen, Vereine,… bei ihren IT-Systemen oder entwickeln Software. Zum anderen sind wir trotz aller Soli-Dinge, die wir tun (wir sind deshalb chronisch Pleite, wie alle coolen kidz), auf Entlohnung für unsere Arbeiten angewiesen. Wir können immer nur so viel unserer Bewegung zurückgeben, wie wir auf der anderen Seite ein Einkommen generieren können. Die Rezession, das Weiterzahlen der Mieten, der Mangel an körperlicher Nähe zu unseren Gefährt*innen usw. treffen uns genauso wie so viele andere.

1st-Level-Support Nightmares

Als Kollektiv und als Einzelpersonen sind wir von Fragen überhäuft worden. Das war sehr anstrengend und es ist scheinbar dringend nötig, eine verlässliche, verständliche Wissensquelle für unser Umfeld zu schaffen. Natürlich fühlt es sich auch gut an, helfen zu können und wir tun das meist gerne. Im Laufe des Artikels soll aus den Fragen, an die wir uns erinnern, etwas Wissen zu Online-Kommunikation für politische Gruppen zusammengefasst werden.

Wir freuen uns sehr über viel positives Feedback. Das gibt uns Energie, trotz allem eine schönere Welt nicht aus den Augen zu verlieren. Manchmal wurde auch Frust bei uns abgeladen und wir hatten den Eindruck, als wären wir Schuld am Headset, dass die ganze Zeit die Verbindung verliert, der schlechten User-Experience (UX) vieler OSS(Open-Source-Software)-Lösungen und Ähnlichem. Wir wollen niemanden zwingen, die wunderbare Warenwelt an Apps und Services zu verlassen. Aber wir wollen allen helfen, die noch frei und ohne Angst sprechen möchten – und vor allem denen, die sich organisieren wollen. Das Organisieren verstehen wir dabei in einem radikalen Sinne, nicht vorangig gegen die Symptome dieser Epedemie, sondern gegen das, was diese Epidemie so schrecklich macht. Vor allem, was sie für die einen deutlich schrecklicher macht als für die anderen. Da wären zu nennen der Ausbau einer autoritären Kultur und Praxis, die Privatisierung und Profitorientierung des Gesundheitswesens, die ausbeuterischen Arbeitswelten (besonders von Menschen ohne Homeoffice-Möglichkeit), Mieter*innen, Leute ohne „Zuhause“ und Migrant*innen. Kurz: Eine Organisierung gegen ein System, das gerade seine Fäule in besonderem Maße zu erkennen gibt. Bei allem ist es auch endlich eine Zeit mit Potential zur Veränderung.

Das Online-Plenum

Ein Plenum online abzuhalten ist am Anfang sehr frustrierend und es ist wichtig euch vor Augen zu führen, dass das nicht so bleiben muss. Frustfaktoren sind schlechtes Internet bei einzelnen, fehlendes Wissen im Umgang mit den Tools, fehlende oder schlechte Headsets (Die von Jabra z.B. sind gut. Keine Bluetooth-Headsets bei sehr sensiblen Gesprächen.) und eine Audiolatenz, die den Eindruck erwecken kann als würden sich Leute absichtlich ins Wort fallen. Wichtiger als alle tollen Features, die viele Tools bereitstellen, ist eine stabile Sprachübertragung.

Wir kennen kein stabileres und in Sachen Audio-Qualität hochwertigeres Tool als Mumble (auch im Vergleich mit kommerziellen Lösungen). Mumble (https://www.mumble.info) ist FOSS und kommt aus dem Online-Gameing Umfeld. Diese Features sprechen für den Gebrauch von Mumble:

  • Schluss mit Hintergrundgeräuschen: Sprachaktivierung und Push-to-Talk
  • Stabil mit hunderten Teilnehmenden
  • Sehr hohe Audioqualität
  • Stabil mit minimaler Internetbandbreite
  • Geringer Datenverbrauch für Leute mit Handytarifen
  • Audioassistent um das eigenen Headset perfekt einzustellen
  • Möglichkeit sich transparent in Unterräume zurück zu ziehen (Arbeitsgruppen)
  • Dauerhafte Räume
  • Langes zusammen „rumhängen“ möglich
  • Verschlüsselte Übertragung des Tons
  • Audiomitschnitte möglich etwa bei einem Vortrag
  • läuft auf allen üblichen Betriebssystemen, auch auf Smartphones
  • einfaches Hosting eines eigenen Servers möglich (mit geringen Hardware-Anforderungen)

Falls ihr euch dauerhaft organisiert und ihr eine gute Praxis für das Online-Plenum sucht, solltet ihr versuchen, bei Mumble zu landen. Die Schwelle Mumble zu nutzen ist höher als bei den HTML5-Lösungen des modernen Internets. So stabil und erprobt Mumble ist, so merkt eins ihr auch an, dass es schon einige Jahre früher entstanden ist und entsprechend aussieht. Folgende Punkte erschweren den Einstieg:

  • Installation eines Clients
  • Etwas seltsame UI/UX (Vielleicht nicht für Gamer ^^. Es gibt aber sehr viel Dokumentation im Internet.)
  • Notwendigkeit einen Server aufzutreiben. Selber hosten oder ein Technik-Kollektiv eures Vertrauens fragen 😉

Um überhaupt ersteinmal ins Gespräch zu kommen, bietet sich ein Service wie Jitsi-Meet (https://jitsi.org/jitsi-meet) an. Ihr müsst einfach nur einen Link rumschicken, draufklicken und findet euch in einer Online-Konferenz wieder. Unter Laborbedingungen läuft die Konferenz stabil, in der Realität sieht es anders aus. Bei großen Plena über 10 Teilnehmenden würde ich es (für stabiles Audio) vermeiden. Neben dem Umstand, dass niemand irgendetwas installieren/konfigurieren muss, wird hier auch Video und Screen-Sharing unterstützt, so dass jemand zum Beispiel eine Präsentation halten kann. Jitsi-Meet ist ebenfalls FOSS und man findet es unter (https://meet.jit.si häufig überlastet) oder bei einem Technik-Kollektiv des eigenen Vertrauens. Am Besten verwendet ihr alle den Browser Chrome/Chromium.

Als Best-Practice hat sich etabliert über Mumble zu sprechen und Jitsi-Meet zusätzlich für Video oder Screen-Sharing zu verwenden. Wenn es dann mal hakt oder Leute nicht genügend Internetbandbreite für das Video der Anderen haben, stört es nicht das ganze Treffen.

Zusätzlich kann das Plenum durch andere kooperative Tools unterstützt werden. Allgemein verbreitet sind Pads für kollaboratives Schreiben von Texten, Bearbeiten von Tabellen oder gemeinsames Malen (Etherpad oder Cryptpad). Wer etwas weiter gehen möchte, kann sich eine Nextcloud zum privaten Teilen von Dateien und gemeinsamen Bearbeiten von Office Dokumenten besorgen. Auch hier bieten die Technik-Kollektive eures Vertrauens Lösungen.

Die letzten Wochen haben uns gezeigt, dass Organisator*innen oft gedrängt werden kommerzielle Cloud-Dienste zu verwenden. Es offenbart sich eine Dynamik, dass jegliche Probleme, die manche User*innen haben, in der Server-Software gesucht werden. Erst wenn Dinge trotz kommerziellen Dients noch immer noch nicht funktionieren, realisieren manche, dass es doch eher an ihrem Internet, Headset, Computer… liegen könnte. Leider stellen sich Geräte und Einstellungen, die für eine Unterhaltung zwischen zwei Leuten gerade so noch zum kommunizieren reichen, bei einem Plenum als unerträglich heraus.

Wir haben beispielsweise eine Gruppe unterstützt, Mumble zu nutzen. Leider konnten sie es nicht erfolgreich einsetzen und Probleme wie Feedback wurden der Software zugeschrieben. Daraufhin sind sie zu einem kommerziellen Cloud-Dienst gewechselt. Die Probleme blieben aber bestehen. Erst danach haben sich die Einzelnen darauf eingelassen z.T. neue Headsets zu besorgen und ihren Computer mit einer helfenden Person richtig zu konfigurieren. Mittlerweile nutzen sie Mumble erfolgreich.

Um sich als Organisator*in solchen Ärger zu ersparen kann es eine sinnvolle Entscheidung sein, kostenlose kommerzielle Cloud-Dienste einzusetzen. Allerdings darf diese Entscheidung nur für offene, unsensible Zusammenhänge getroffen werden. Auch wenn diese Anbieter „Verschlüsselung“ anpreisen, bedeutet dies (außer eventuell bei Zwei-Personen-Gesprächen) nur eine verschlüsselte Übertragung. Der Anbieter selbst kann alles mitschneiden/zuhören. Das ist also z.B. genauso wie bei einem Handy-Telefonat. Gerade auch Zusammenhängen, die Rechtsberatungen oder Ähnliches anbieten, sollte das bewusst sein. Hinter jedem kostenlosen kommerziellen Angebot im Internet steht ein Geschäftsmodell. Entweder wird es kostenpflichtig, wenn ihr euch dran gewöhnt habt, ihr müsst Werbung ertragen oder ihr werdet ausspioniert.

Zusammenarbeit außerhalb des Plenums

Die meisten Gruppen pflegen seit langem eine digitale Zusammenarbeit jenseits der Treffen. Bei vielen besteht aktuell das Bedürfnis sie zu intensivieren. Oft wird immer noch mit unverschlüsselten Mailing-Listen gearbeitet. Diese Praxis halten wir für etwas überholt bzw. nur für sehr spezielle Anforderungen für geeignet. Mit verschlüsselten Mails zu arbeiten ist löblich, aber aufgrund des Komplexität der Einrichtung vielen Menschen kaum zuzumuten.

Für unkomplizierten Austausch ohne eigene Infrastruktur bieten sich Messenger-Apps an. Das Thema wird mittlerweile von den Meisten als anstrengend empfunden, weil es gefühlt jeden Monat eine neue tolle App gibt und wir zig Apps brauchen um mit Leuten in Kontakt zu bleiben. Ich halte es deshalb ganz kurz:

  • Ja Whatsapp Nachrichten sind Ende-zu-Ende verschlüsselt, aber du weißt nicht was der proprietäre Client und Server tut. Die Metadaten sind nicht anonym. Die E2E-Verschlüsselung gibt es nur, wegen der Konkurenz zu anderen Messengern, wie Signal, und dem Druck nach den Prism-Enthüllungen.
  • Nein wir finden Signal (https://signal.org) nicht cool, aber ihr könnt es benutzen. Signal ist besser als Telegram (https://telegram.org). Telegram nur für große quasi öffentliche Gruppen geeignet.
  • Wenn ihr mit sehr sensiblen Inhalten zu tun habt, lasst die Handys besser außen vor.
  • Wie Systemli letztens sagte: Old but gold. Das XMPP Protokoll (https://xmpp.org) ist alt, aber dezentral und gut und es entwickelt sich weiter. Installiert euch Conversations (https://conversations.im), macht euch einen anonymen Account z.B. bei jabber.ccc oder Systemli und genießt verschlüsselte Kommunikation mit Voice-Messages, Bildern… Und das auch parallel synchronisiert auf Computer und Handy. Das alles geht genauso als Gruppenchat. Also… dezentral, föderiert, community-organisiert, anonym… großartig. Und es funktioniert wirklich ;). Auf Sticker müsst ihr allerdings verzichten :(.
  • Mit Delta-Chat (https://delta.chat) könnt ihr Email-Protokoll und Messenger kombinieren. Die Oberfläche sieht genau aus wie bei Signal und genauso unsichtbar aber sicher ist die Verschlüsselung. Im Hintergrund wird alles per Mail gesendet. Der Vorteil: Ihr könnt mit allen Email-Kontakten (wenn auch dann unverschlüsselt) schreiben. Auch hier wird ein dezentrales, föderiertes Protokoll verwendet. Also mögen wir es ebenfalls.
  • Matrix (https://matrix.org) versucht in etwa das moderne XMPP zu sein. Leider hat es uns in der Praxis, insbesondere mit aktivierter Verschlüsselung, eher Schmerzen bereitet. Die Apps sehen chick aus, aber laufen plump und brauchen viele Ressourcen.

Wenn eure Organisierung etwas größer, enger und längerfristiger ist, kann es sich lohnen, wenn ihr eure eigene IT-Infrastruktur betreibt oder betreiben lasst. Dann könnt ihr zum Beispiel eine Datei-Cloud wie Nextcloud (https://nextcloud.com) nutzen und darüber auch Kalender und Aufgaben teilen oder Office Dokumente (https://www.libreoffice.org/download/libreoffice-online) gemeinsam bearbeiten. Auch könnt ihr dann einen Team-Chat-Dienst wie Mattermost (https://mattermost.com) oder Rocket-Chat (https://rocket.chat) nutzen, der im Komfort ein Stück über die Messenger-Räume hinaus geht.

Wie oben schon geschrieben kann auch außerhalb der Treffen im Mumble rumgehangen und sich sprechend ausgetauscht werden.

Wenn ihr mit sehr sensiblen Daten agiert, solltet ihr für jegliche Kommunikation USB-Sticks mit dem Tails-Betriebssystem (https://tails.boum.org) nutzen. Der größte Schwachpunkt eurer Kommunikation ist nämlich nicht die Verschlüsselung, sondern euer im Zweifel relativ verbasteltes Gerät.

Eine Konferenz online organisieren

Vielleicht habt ihr jetzt schon viele Veranstaltungs-Termine absagen müssen. Und es gibt keine technische Lösung, die eine räumlich Veranstaltung wirklich ersetzen könnte. Dennoch gibt es Möglichkeiten, dass ihr nicht alles ins Wasser fallen lassen müsst. Allerdings kommt ihr hier, genauso wie sonst auch, nicht umhin etwas Geld für Infrastruktur zu investieren.

Einen kleinen Kneipenabend oder Vortrag könnt ihr wie beim Online-Plenum durch Mumble + Jitsi ersetzen. Im Mumble könnt ihr auch Unterräume für Kleingruppengespräche einrichten (z.B. Bar, Tisch am Ofen…).

Für größere Events könnt ihr euch einen Server mit der Software BigBlueButton (https://bigbluebutton.org) einrichten lassen. Das System ist extra für E-Learning entwickelt, hat viel mehr Funktionalität als Jitsi und läuft stabil. Auch eine Einwahl per Telefon ist möglich. Vorträge können direkt mit Bild und Präsentation aufgezeichnet werden. Allerdings benötigt das Ganze einen physikalischen Server und ihr solltet es umbedingt von Profis einrichten lassen.

Bei den Kongressen des CCC wird für die großen Vorträge ein Streaming-Server eingesetzt. Die Software dafür ist FOSS. Also auch von euch einsetzbar, genauso wie die Medien-Bibliothek. Hier finden wir aber PeerTube (siehe unten) noch etwa schöner.

Öffentlichkeit generieren

Um Leute zu erreichen, kommen wir leider alle nicht um die großen Internetplattformen wie Facebook und Twitter herum. Allerdings ist es wichtig, die Tür zu einer besseren Internet-Community offen zu halten.

Als dezentrale Twitter-Alternative existiert Mastodon (https://joinmastodon.org). Auf einer Vielzahl von aktivistischen Community-Servern könnt ihr euch einen Account erstellen. Lange schon wird der Dienst nicht mehr nur von Geeks benutzt. Insbesondere seit der Twitter-Zensurwelle sind maßenhaft User*innen übergewechselt – besonders in Spanien und Indien. Alle föderierten Server müssen einen Mindeststandart bzgl. gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit erfüllen. Mastodon ist damit quasi nazifreie Zone. Ihr könnt z.B. auch eure neuen WordPress-Blogartikel automatisch über Mastodon verbreiten.

Ein ganz frisches Projekt, dass sich aktuell in der Beta-Phase befindet ist Mobilizon (https://joinmobilizon.org) Es sagt dem Facebook-Event-Monopol den Kampf an und schafft auch hier eine dezentrale Alternative. Das solltet ihr in den nächsten Monaten unbedingt in eurer Stadt einführen und damit eventuell eure verstaubten, lokalen unvernetzten Veranstaltungsseiten ersetzen.

Als YouTube/Vimeo-Alternative existiert PeerTube (https://joinpeertube.org). Die Server laufen dezentral vernetzt. Ihr könnt einen bestehenden nutzen oder einen für euer Medienprojekt aufsetzen. Leute können sich eurer Videos genauso einfach anschauen wie bei YouTube, wenn ihr z.B. den Link in sozialen Netzwerken verteilt. Eine technische Raffinesse: Wenn viele Leute ein Video von euch ansehen, überlasten sie nicht euren Server sondern verteilen die Daten untereinander.

Da sich gerade viele Personen zu Hause langweilen, gewinnt auch Radio wieder an Bedeutung. Mit der Software Icecast (http://icecast.org) könnt ihr euch ein Live-Internet-Radio bauen. Vielleicht sucht aber euer lokales Community-Radio auch gerade noch Unterstützung.