Wir werden größer

Mitte März kamen Kollektiv und Netzwerk in Braunlage für ein Wochenende zu einem Treffen zusammen. Dabei handelte es sich um das zweite große Treffen dieser Art seit Gründung des IT Kollektivs. Seit dem letzten Treffen ist das Netzwerk auf über zwanzig Personen angewachsen und auch ins Kollektiv wurden mehrere neue Menschen aufgenommen. Das Netzwerk bietet eine unverbindliche Art, das Arbeiten im Kollektiv kennenzulernen und zu Diskussionen und Entwicklungsprojekten beizutragen.

Inhaltlich beschäftigten wir uns mit strukturellen Fragen, Akquisemöglichkeiten, Erfahrungsaustausch und der kollektivinternen Infrastruktur. Da sich viele von uns das erste Mal im größeren Kreis mit Beteiligten aus anderen Städten trafen, gab es hier auch Raum, sich kennenzulernen und offene Fragen zur Zusammenarbeit zu klären.

Unsere größten Probleme liegen derzeit in der Ausgestaltung des Verhältnisses von Netzwerk, Kollektiv und existierenden Rechtsformen. Derzeit sind drei Kollektive und drei Rechtsformen im Netzwerk beteiligt. Hinzu kommt die Zusammenarbeit in AGs, Branchenbereichen und Städten. Von den Kollektiven sieht nur das IT Kollektiv das Netzwerk in seiner Struktur vor und kümmert sich um dessen Infrastruktur, Aufnahme und sonstigen Support. Hier stellte sich uns besonders die Frage, wie wir ein Prinzip der Autonomie und Freiwilligkeit erhalten und gleichzeitig verbindliche Solidarität schaffen können. Denn das Prinzip der freien Vereinbarung kann auch bedeuten, dass sich die produktivsten Beteiligten zusammenschließen und nicht so lukrative Strukturen oder Hintergrundarbeiten zurücklassen. Wie bei fast allen Kollektivbetrieben üblich gab es auch großen Klärungsbedarf bei der Frage: Was ist Arbeit und wie soll diese entlohnt werden?

Wie auch immer wir uns strukturieren, stehen wir als Arbeiter*innen ohne Kapital vor dem unangenehmen Problem, unsere Arbeitskraft auf den Markt tragen zu müssen. Dabei setzen wir auf die Stärke unserer solidarischen, egalitären Selbstorganisation und lassen uns nicht vereinzeln. Dennoch fällt es uns erst einmal schwer, in unserer Vielfalt ein schlüssiges Portfolio zu schaffen und unsere Akquisebemühungen strategisch zu koordinieren. Zwar konnten wir die erste Person mit einem Arbeitsvertrag versehen, aber wir müssen Kundenbeziehungen aufbauen und kalkulierbare Einnahmequellen schaffen, um weitere Personen fest einstellen zu können und unsere Existenz zu sichern.

Um unsere Gemeinschaft etwas zu konsolidieren und uns auf Akquise konzentrieren zu können, wird es zunächst einen Aufnahmestop für das Netzwerk geben, wobei sich Interessierte weiterhin melden können und Rückmeldung erhalten, wenn sich das in nicht ganz ferner Zukunft wieder ändert. Dies gilt nicht für Frauen*, da sich bei uns in überwiegender Zahl männlich sozialisierte Personen eingefunden haben. Dieser Umstand verwundert wenig in einem auf „Technik“ ausgelegten Kollektivbetrieb in Anbetracht der Absolvent*innenquoten in IT Berufen. Allerdings soll gerade ein Projekt wie unseres den Raum bieten, sich jenseits von sexistischen Diskriminierungen technisches Wissen anzueignen. Auch um kulturelle Vielfalt ist es trotz unserer antinationalen Positionen schlecht bestellt. Wir haben uns in der Diskussion um dieses Thema auch vor Augen geführt, dass es nicht um „Integration der Anderen“ um der Vielfalt willen gehen kann, sondern dass Diversität vor allem bedeutet, unsere eigenen Wesenszüge zu hinterfragen, ggf. anzupassen und uns auf andere Herangehensweisen einzulassen.

Ein etwas sperriges Thema, an dem aber kein Weg vorbeiführt, sind die eingesetzten Softwaretools für unsere dezentrale Zusammenarbeit. Wir besitzen einige nützliche OSS-Werkzeuge, die nach dem UNIX-Prinzip, ein spezialisiertes Tool für eine Aufgabe, ausgewählt wurden. Nun bringt jede*r von uns ihre/seine spezifischen Vorlieben mit, die im Einzelnen nicht immer berücksichtigt werden können, weil sonst keine Zusammenarbeit möglich wäre. So wollen wir uns erst einmal auf die bestehenden Werkzeuge einlassen.

Obwohl für eine dezentrale Projektarbeit mittlerweile ausgezeichnete Werkzeuge existieren, so fehlt es stark an Lösungen für hierarchiearm geführte Strukturen. Hier haben uns Gefährt*innen aus dem Netzwerk zwei sehr nützliche, eigen entwickelte Anwendungen vorgestellt, die wir einsetzen möchten. Das eine unterstützt bei der Dokumentation von Treffen und Entscheidungsfindung. Das andere ermöglicht eine sichere dezentrale Verwaltung von Passwörtern. Uns fehlt damit aktuell noch Software für transparente interne Buchführung, Zeiterfassung und Ressourcenplanung. Für diese Bereiche beginnen wir aktuell mit einer Eigenentwicklung.

Insgesamt blicken wir auf ein sehr produktives Treffen zurück. Die Diskussionskultur war von gegenseitigem Verständnis geprägt und sehr konstruktiv, ohne inhaltliche Differenzen unter den Teppich zu kehren. Aufgrund der Themenvielfalt blieb wenig Raum für unstrukturiertes soziales Miteinander oder Wissensaustausch oder auch nur einen Gang für die Tür. Dazu hat der verregnete Harz allerdings auch nicht eingeladen. Wir ließen unsere Kurkarten verfallen. ohne das Kneippbecken genutzt zu haben. What a pity…